Unterordnung beim Hund – das Märchen vom Mensch als Alphatier
So klappt ein harmonisches Familienleben mit Hund ohne Zwang
Auch Wolfsrudel leben in Familienstrukturen
Ursprünglich stammen unsere Hunde vom Wolf ab. Deshalb scheint das natürliche Verhalten von Wölfen besonders viel über Hunde auszusagen. Grund, einmal genauer hinzusehen. Ein Wolfsrudel ist eine Gruppe von mehreren Wölfen und wird von einem Wolfspaar angeführt. Diese leben dabei meistens monogam, also mit einem einzigen Partner, in einem Familienverband. Wolfsrudel sind Familien mit den Nachkommen eines Wolfspaars aus mehreren aufeinanderfolgenden Jahren. In den geschlossenen Gruppen kennen sich alle Tiere untereinander und das Rudel grenzt sich gegen andere Wölfe ab. Die Jungtiere verlassen das Rudel nach einiger Zeit, um ihre eigene Familie zu gründen. Innerhalb eines Rudels gibt es eine Rangfolge: Die älteren Tiere sind dominant und werden als Rudelführer anerkannt.
Um die Rangfolge gibt es in Wolfsrudeln keine Kämpfe.
Andere Konflikte zwischen Rudelmitgliedern kommen dagegen durchaus vor.
Weil ein Wolfsrudel aus dem Elternpaar und seinen Kindern besteht, die nach einiger Zeit das Rudel verlassen, hat die Gruppe eine familiäre Struktur. Forscher, die eine strenge lineare Rangfolge und dominante Alphatiere in Wolfsrudeln beobachtet haben, stützen ihre Aussagen dagegen auf Beobachtungen von Wölfen, die nicht in freier Wildbahn leben, sondern in Gefangenschaft. Diese spiegeln jedoch überhaupt nicht die normalen Familienverbände wider, wie sie in der Wildnis vorkommen.
Die Theorie vom Alpha-Wolf – überholt?
Eine gängige Theorie über die Erziehung von Hunden ist die Idee vom Alpha-Wolf. Dies ist ein einzelner Wolf, der seine Körpersprache und, wenn nötig, auch seine physische Kraft einsetzt, um seine Dominanz innerhalb des Wolfsrudels aufrechtzuerhalten. Die Theorie wurde erstmals in der frühen Wolfsforschung entwickelt und daraufhin von Hundetrainern aufgegriffen. Hundebesitzer sollen demnach die Alpha-Rolle einnehmen, damit der Hund sich unterordnet. Als Alphatiere sollen sie vor allem unerwünschte Verhaltensweisen beim Hund bestrafen. Der Psychologe und Hundetrainer Stanley Coren sagt in seinem 2001 erschienenen Buch ‘Die Geheimnisse der Hundesprache‘: „Sie sind der Alpha-Hund … Sie müssen kommunizieren, dass Sie der Rudelführer und dominant sind.“
Einige Hundeausbilder empfehlen Trainingstechniken, von denen sie annehmen, dass sie mit dem Verhalten in Wolfsrudel in Verbindung stehen, wie zum Beispiel das Nackenschütteln. Sie raten Hundebesitzern, dem Hund gegenüber als Alphatier aufzutreten. Aber:
Die meisten Tierarztverbände und Ausbilder lehnen den Ansatz vom Menschen als Alphatier heute ab – und befürworten die Verwendung von Belohnungen und positiver Verstärkung, um den Hund zu erziehen.
Die Familie ist für den Hund kein Ersatz für das Rudel
Viele Menschen denken, die Familie oder Hausgemeinschaft, in der ein Hund lebt, sei nun sein Rudel. Der Hundehalter wird darin als der Rudelführer gesehen, der sich immer wieder dem Hund gegenüber behaupten muss. Doch diese Hierarchie stimmt nicht einmal für Wölfe. Heute gehen Forscher davon aus, dass unsere Hunde die Menschen, mit denen sie zusammenleben, nicht als ihr Rudel ansehen und sehr genau wissen, dass Menschen nicht ihre Rudelführer sind. Denn Menschen verhalten sich nun einmal anders als Hunde und können deren Verhalten nicht nachahmen.
Die Theorie von der unbedingten Unterordnung des Hundes ist überholt
Bei der Erziehung von Hunden stehen heute eher Vertrauen und Partnerschaft im Fokus. Positive Verstärkung ist ein guter Weg, um eine gute Kommunikation zwischen Besitzern und ihren Haustieren zu fördern. Hundepsychologen schlagen vor, dass ein freundliches, effizientes Training vor allem Spiele verwendet, um Kommandos zu vermitteln, die für das tägliche Leben des Hundebesitzers von Nutzen sein können.
Die Theorie, dass der Hund sich dem Menschen in jeder Situation unterordnen sollte, ist überholt. Auch den folgenden Mythen sollten Sie deshalb keinen Glauben schenken:
Mythos 1: Der Hund muss immer nach Ihnen gehen – auch durch Türen
Fakt: Wer als Erster geht, hat keinen Einfluss darauf, ob der Hund Ihre Kommandos befolgt, und sagt nichts aus über die Stellung des Hundes in Ihrer Familie. Gerade im Gelände ist Ihr Hund ohnehin einfach schneller als Sie und lässt sich von seiner Neugier leiten. Bringen Sie Ihrem Hund Kommandos bei, beispielsweise, damit er zu Ihnen kommt.
Mythos 2: Ihr Hund muss immer nach Ihnen essen
Fakt: Tatsächlich haben Forscher in frei lebenden Wolfsrudeln unter anderem beobachtet, dass die älteren Tiere den jungen beim Fressen oft den Vortritt ließen. Das Familienmodell beschreibt damit viel besser, wie Wolfsrudel organisiert sind, als das Modell vom Alpha-Wolf. Die Reihenfolge der Mahlzeiten bei Ihnen und Ihrem Hund hat keinen Einfluss darauf, ob Ihr Hund auf Ihre Kommandos hört.
Mythos 3: Ein Hund sollte nie auf einen Sessel, das Sofa oder das Bett dürfen, denn damit begibt er sich auf dieselbe Ebene wie das Alphatier
Fakt: Ob Ihr Hund aufs Sofa darf oder nicht, hängt von Ihren persönlichen Vorlieben ab. Vielleicht wünschen Sie es nicht, weil die hinterlassenen Hundehaare Ihnen Arbeit machen. Oder Sie mögen es im Gegenteil gern, wenn der Hund abends neben Ihnen auf dem Sofa liegt. Springt der Hund aufs Sofa oder einen Sessel, zeigt dies jedenfalls nicht, dass der Hund Ihren Platz im Rudel beansprucht.
Unterordnung sorgt beim Hund nur für Zwang und Angst. Stattdessen sollten Sie Ihren Hund mit positiver Verstärkung erziehen. Auf diese Weise lernt er, Kommandos spielerisch und gerne zu befolgen, und Sie schaffen ein vertrauensvolles, partnerschaftliches Verhältnis zu Ihrem Hund.