Interviewpartner
Anna Lindorf ist Hundetrainerin bei der Hundeschule OHZ in Lilienthal. Sie ist passionierte Hundetrainerin und besitzt selbst einen Dalmatiner. Die Phase der Pubertät hat sie nicht nur bei ihrem eigenen Hund miterlebt, sondern auch Hunderte Halter während dieser teils schwierigen Zeit begleitet.
Frau Lindorf, was genau ist die Pubertät beim Hund?
Die Pubertät beim Hund ist eine Reifungsphase, genau wie bei uns Menschen. Das bedeutet kurz gesagt: Die Hormone geraten durcheinander, der Sexualtrieb entwickelt sich, und die Synapsen im Gehirn werden neu verknüpft. Es passiert während dieser Phase ganz viel im Körper eines Hundes. Wir als Halter müssen dann aufmerksam sein, um unsere Hunde zuverlässig durch diese aufwühlende Zeit zu begleiten.
Für den Hund ist jetzt eine gute Bindung zum Halter besonders wichtig.
Wann beginnt die Pubertät beim Hund und wie lange dauert sie an?
Wann die Pubertät anfängt, lässt sich nicht pauschalisieren, da ist jeder Hund ganz individuell. Was man aber grob sagen kann, ist, dass die Pubertät in der Spanne zwischen dem 6. und 24. Monat verläuft. In den meisten Fällen beginnt sie im Hundealter von sechs bis neun Monaten. Bei größeren Rassen dauert diese Phase dann häufig länger an. Man kann aber davon ausgehen, dass die Pubertät bei allen Rassen mit ca. 1,5–2 Jahren beendet ist.
Welche Anzeichen für die Pubertät beim Hund gibt es?
Es gibt keine zuverlässigen Anzeichen für eine Pubertät, die bei jedem Hund in der gleichen Form auftreten. Einige Merkmale, die aber darauf hinweisen können, sind:
- Der Hund vergisst scheinbar plötzlich Kommandos und Tricks, die ihm schon beigebracht wurden.
- Er zeigt ein aufmüpfiges, weniger gehorsames Verhalten gegenüber dem Halter.
- Bei einigen Hunden scheinen sich auch die Charakterzüge zu verändern – so kann aus einem eher zurückhaltenden ein vorübergehend forscher, aufgedrehter Hund werden. Umgekehrt kann aus einem forschen ein sehr zurückhaltender Hund werden – bis hin zur Ängstlichkeit.
- Die Leinenführigkeit wird schlechter: Hunde bellen beim Spaziergang andere Hunde an, sie ziehen stark an der Leine oder hören nicht mehr auf Rückrufe und
- ignorieren den Halter oder fangen an, überall zu schnüffeln und zu jagen.
Wieso verändern Hunde sich während der Pubertät?
Während der Pubertät reift der Hund körperlich und auch geistig. Nun kommen vor allem die Hormone durcheinander und somit ins Ungleichgewicht. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Geschlechtsreife der Hunde. Bei Rüden steigt das Testosteron stark an. Sie fangen jetzt an, sich vermehrt für Hündinnen zu interessieren. Bei weiblichen Hunden steht nun die erste Läufigkeit vor der Tür. Für den Hund ist die Pubertät eine sensible Phase mit vielen Veränderungen.
Was raten Sie Haltern, deren Hunde in der Pubertät stecken? Wie sollen sie sich verhalten, damit Mensch und Tier gut durch diese Phase kommen?
Mein erster und wichtigster Tipp in dieser Situation ist: Bewahren Sie unbedingt Ruhe und bleiben Sie geduldig. Das klingt erst mal lapidar, für den Hund ist es aber immens wichtig, dass er sich auf seinen Halter verlassen kann. Ein vertrautes Verhältnis zwischen Halter und Hund ist sehr wichtig. Es gibt keine allgemeingültige Checkliste, die Halter während der Pubertät des Hundes Punkt für Punkt abhaken können. Besonders deshalb nicht, weil die Pubertät so individuell verläuft. Ich kann den Haltern allerdings einige Tipps mitgeben, die hilfreich sein können:
Übertriebene Strenge hilft nicht: Auch wenn Ihr Hund scheinbar alle Tricks verlernt hat und sich nicht mehr so recht an Regeln halten will, ziehen Sie nicht die Konsequenz übertriebener Strenge. Das verwirrt den Hund nur zusätzlich und wirkt sich negativ auf Ihr Vertrauensverhältnis aus.
- Halten Sie an Ihren aufgestellten Regeln fest: Spätestens ab der Pubertät sollten Sie sich im Klaren darüber sein, welche Regeln für Ihren Hund gelten. Wichtig ist hierbei Konsequenz: An aufgestellten Regeln sollten Sie jetzt unbedingt festhalten, damit Ihr Hund weiß, wie er sich verhalten soll. Ihr Verhalten muss für den Hund vorhersehbar sein. Ein willkürliches Verhalten des Halters – beispielsweise durch übertriebene Strenge – ist für den Hund nicht einzuordnen und macht ihn unsicher.
- Nur erlernte Kommandos sind für Ihren Hund ausführbar: Klingt banal, aber ein Kommando, welches ich meinem Hund nicht beigebracht habe, wird er nicht ausführen können. Das fängt schon bei Worten wie „Nein“ oder „Halt“ an. Weiß der Hund nicht, was gemeint ist, führt das schnell zu Frust und Verwirrung. Es ist daher wichtig, im Vorfeld zu reflektieren, was ich gerade von meinem Hund erwarte.
- Kann mein Hund das Kommando im Moment ausführen? Ein Hund ist nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit gleichermaßen aufnahme- und lernfähig. Das variiert während der Pubertät noch mal stärker. Nicht zuletzt, weil das Stress- und Aufregungslevel häufig gesteigert ist. Fragen Sie sich also in den spezifischen Situationen: Ist mein Hund gerade in der Lage, das Kommando auszuführen? Ein Abruf mitten im wilden Spiel mit dem Lieblingskumpel? Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht funktionieren. Was bei einem erwachsenen Hund funktioniert, kann man nicht automatisch von einem jungen Hund erwarten. Passen Sie einen guten Moment ab, in dem der Hund schon zu Ihnen gewandt ist, sie seine Aufmerksamkeit haben und in dem die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Übung damit hoch ist. Das Training sollte immer positiv beendet werden. Das ist für beide Seiten wichtig – für Hund wie Mensch.
- Balance zwischen Auslastung und Ruhe: Ein Hund muss ausgelastet sein – sowohl körperlich als auch geistig. Wichtig ist es aber auch, dem Hund Ruhe zu gönnen sowie aktiv beizubringen. Von dieser Balance zwischen Auslastung und Ruhe profitiert Ihr Hund das ganze Leben. Der häufigste Fehler im ersten Lebensjahr ist der, dass der Hund die Ruhe nicht gelernt hat.
- Stabiles Hund-Halter-Team: Schaffen Sie viele positive Erlebnisse mit Ihrem Hund, das stärkt Ihre Bindung. Dadurch schaffen Sie ein Vertrauensverhältnis, das Ihnen hilft, einen gemeinsamen Weg durch diese sensible Phase zu finden.
- Hilfe von Experten: Scheuen Sie nicht davor zurück, Hilfe bei Experten, wie Hundetrainern und -trainerinnen, zu suchen. Die Pubertät beim Hund ist eine aufregende, teilweise anstrengende Zeit, durch die Sie nicht alleine gehen müssen.
Ist eine Kastration die Lösung?
Eine scheinbar einfache Lösung und ein beliebtes Mittel, um die durcheinander-geratenen Hormone zu sortieren, ist die Kastration. Sowohl beim Rüden als auch der Hündin werden die Sexualhormone damit ausgeschaltet. Ich persönlich rate allerdings zu einer ausführlichen Beratung beim Tierarzt und dem Gespräch mit einem erfahrenen Trainer. Dies dient der Einschätzung des Hundes, auch wenn keine Verhaltensauffälligkeiten vorliegen. Ich rate von einer vorschnellen Kastration ab, denn dadurch fehlen dem Hund die Sexualhormone, die nicht nur wichtig sind für die körperliche sondern auch für die geistige Reife. Sind diese nicht im Gleichgewicht, kann das dazu führen, dass der Hund unsicher wird. Ist ein Hund aufgrund seiner Sexualhormone jedoch übermäßig gestresst und schränken sie seine Gesundheit etwa durch Scheinträchtigkeit ein, dann ist eine Kastration ratsam. Aber Vorsicht: EIne Kastration löst keine erzieherischen Probleme. Sie wirkt nur auf das von Hormonen gesteuerte Verhalten. Eine Kastration sollte also gut überlegt und mit einem Tierarzt intensiv besprochen werden.
Häufig hilft in einer schwierigen Situation bereits: einmal tief durchatmen, ruhig bleiben und auf die Beziehung zum Hund vertrauen.
Ich empfehle den Haltern immer, schon früh in die Bindung und Beziehung zu ihrem Hund zu investieren, dadurch lassen sich viele Situationen einfacher zusammen durchstehen und meistern. Ich spreche da aus Erfahrung. Wenn sich beide Seiten miteinander wohlfühlen und vertrauen, können sie sich immer wieder darauf berufen. So stehen Sie auch die störrischen Phasen mit Ihrem Hund durch.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Lindorf!