Ihr Hund will nicht Gassi gehen?
Hundetrainer Bernd Baron spricht im Interview über mögliche Gründe – und was Hundehalter tun können
Ihr Hund, mit dem Sie sonst mehrmals am Tag auf die kleine oder große Gassirunde gegangen sind, will plötzlich nicht mehr aus dem Haus? Oder der Hund aus dem Tierschutz, der sich im Heimatland noch völlig normal verhalten hat, will jetzt das Zimmer nicht verlassen? Was dahinterstecken kann, wenn der Hund nicht mehr Gassi gehen will, erklärt Hundetrainer Bernd Baron in diesem Artikel.
Ein Interview mit Bernd Baron – ein Hundetrainer, der für faires Hundetraining wirbt
Bernd Baron ist zertifizierter Hundetrainer, der seit über 15 Jahren Hunde trainiert und sich gewaltfreie Trainingsmethoden auf die Fahne geschrieben hat. Trainieren statt dominieren – diesem Leitsatz haben sich Bernd Baron und weitere Hundetrainer verpflichtet. Bernd Baron versteht sich in seinen Trainings auch als „Anwalt des Hundes“ und versucht Haltern die Perspektive des Hundes näherzubringen. Durch seinen eigenen Hund hat sich die Leidenschaft zum Hundetrainer entwickelt. In über 430 Schulklassen konnte er mit seinem Rüden Buddy den Kindern die „Angst vorm großen Hund“ nehmen. Als selbstständiger Trainer hilft er Hundehaltern außerdem in Einzeltrainings.
Herr Baron, der Hund will nicht mehr Gassi gehen – welche Ursachen kann es dafür geben?
Will ein Hund nicht nach draußen, kann es dafür vielfältige Gründe geben. Deshalb muss man zunächst einmal schauen: Ist es ein Hund aus dem Tierschutz, der zu einem neuen Besitzer gekommen ist? Dann kann es sein, dass er aus psychischen Gründen nicht rausgehen will. Die neue Umgebung verängstigt den Hund eventuell derart, dass er sozusagen komplett „einfriert“ und einfach nicht in der Lage ist rauszugehen. Oder ist es ein Hund, der von einem Tag auf den anderen einfach nicht mehr rauswill? Dann hat dies meist andere Ursachen: zum Beispiel ein einschneidendes Ereignis oder plötzlich auftretende Schmerzen.
Warum wollen manche Hunde aus dem Tierschutz nicht nach draußen gehen? Sie nannten psychische Gründe.
Hunde aus dem Tierschutz kennen oft nur eine Umgebungsform und sind häufig auch noch traumatisiert. Der Hund kauert dann vielleicht in seiner Hundebox und tut weiter gar nichts. In einem Fall, den ich betreut habe, öffnete der Halter dann spätabends die Terrassentür, damit der Hund wenigstens sein Geschäft machen konnte. Wer keinen Garten hat, steht mit einem Hund, der sich so verhält, natürlich vor einem riesigen Problem. Dann macht der Hund am Ende sein Geschäft irgendwo im Haus oder in der Wohnung. Der Grund für dieses Verhalten ist Angst, weil ihm die Sicherheit in der neuen Umgebung fehlt.
Wenn Hundehalter auf mich zukommen, weil der Hund nicht aus dem Haus will, sind es oft tatsächlich Hunde aus dem Tierschutz. Viele Menschen nehmen derzeit Hunde aus dem Ausland auf. Das ist gut gemeint – klappt aber leider nicht immer problemlos. Werden sie dann an einen quirligen Haushalt vermittelt, womöglich mit kleinen Kindern und vielleicht zusätzlich noch mit anderen Hunden oder Katzen, so überfordert das den Hund häufig komplett. Tierschutzvereine sind da stärker in der Pflicht, darauf zu achten, ob das neue Zuhause wirklich passend für den Hund ist.
Was ist damit gemeint, wenn Sie von einschneidenden Ereignissen sprechen, die den Hund am Gassigehen hindern?
Silvester kann beispielsweise ein einschneidendes Erlebnis für den Hund sein. Wurde der Hund zu Silvester etwa mit Böllern beworfen, kann dies Ängste erzeugen, die lange nachwirken. Manchmal bekommt der Hund dann schon bei einem Gewitter oder auch anderen lauten Geräuschen Angst und will nicht raus.
Die Lösung: Verbinden Sie das Gassigehen mit etwas Angenehmen, um die Angst mit einer anderen Emotion zu überlagern. Immer wenn es rausgeht, gibt es ein Leckerli. Mit etwas Geduld wird der Hund dann wahrscheinlich bald wieder ohne Probleme rausgehen.
Wenn Ihr Hund zum Beispiel knurrt, jault oder schnell die Zähne zeigt, sobald er sich bewegt oder Sie ihn berühren, oder auch, wenn er plötzlich beginnt „einzufrieren“, dann kann das auf starke Schmerzen hindeuten. Die Ursache kann beispielsweise eine Arthrose in den Gelenken sein oder ein eingeklemmter Nerv. Ein Tierarzt kann an den Signalen des Hundes erkennen, ob und wo er Schmerzen hat. Er wird den Hund bei Verdacht auf Schmerzen gründlich untersuchen. Vielleicht empfiehlt er aber auch, dem Hund ein paar Tage lang starke Schmerzmittel zu geben, statt gleich alle teuren Untersuchungen zu starten. Wird das Verhalten dann besser, ist mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass Schmerzen dahinterstecken. Manche Schmerzmittel helfen auch dabei, dass etwa eine Entzündung dauerhaft abklingt. Dann ist nach einigen Tagen auch die Ursache der Schmerzen verschwunden – und der Hund verhält sich wieder wie immer.
Welchen Einfluss hat das Wetter? Scheuen Hunde auch Hitze oder Regen?
Ja, viele Hunde mögen bei heißen Temperaturen nicht raus. Mitunter hat es also auch ganz alltägliche Ursachen, wenn Hunde nicht Gassi gehen wollen. Die Umgebungshitze und der heiße Asphalt führen dazu, dass sie lieber im Haus bleiben oder schnell wieder reinwollen. Bei Kälte ist dies seltener, denn Kälte macht Hunden in der Regel weniger aus. Im Zweifel kann ein Mantel helfen.
Oft ist auch Regenwetter schuld daran, dass manche Hunde einfach nicht rauswollen. Das liegt dann oft am Fell: Einige Hunderassen haben keine Unterwolle, etwa Pudel oder Chihuahuas, aber auch manche Kurzhaarrassen. Sie sind dann bei Regen schnell bis auf die Haut durchnässt. Auch hier können Hundehalter mit einem Mantel vorbeugen.
Wie sollten Hundehalter sich in der Wohnung verhalten, wenn der Hund aus Angst dauerhaft nicht raus will?
Es kann ratsam sein, eine Hundebox als Rückzugsort in der Wohnung aufzustellen. Ganz wichtig: Die Tür der Box muss immer offen sein, damit der Hund von alleine rein- und rausgehen kann. Auf keinen Fall darf der Hund in der Box eingesperrt werden. Die Box sollte außerdem einen guten Abstand zu den Menschen haben, damit Ihr Blick nicht ständig in die Box fällt und der Hund sich nicht beobachtet fühlt.
Denn direkter Blickkontakt ist für einen ängstlichen Hund eine sehr unangenehme Situation – eine regelrechte Katastrophe, die seine Angst verstärkt.
Beobachten Sie den Hund mit einer Kamera
Wenn Sie wissen wollen, ob der Hund sich in Ihrer Abwesenheit genauso ängstlich verhält, können Sie auch auf technisches Equipment wie eine Kamera zurückgreifen. Sie installieren die Kamera in der Wohnung und beobachten so, ob der Hund beispielsweise an außerhalb seiner Box stehendes Futter geht, wenn er ganz alleine ist. Das ist meistens dann der Fall, wenn der Hund Angst vor Menschen hat und deswegen nicht rausgeht.
Legen Sie eine Käsespur als Übung
Oft klappt es, den Hund mit einem Snack zu motivieren. Ich empfehle immer, eine Spur aus Käsestückchen oder anderen Leckerlis zu legen. Beginnen Sie direkt vor der Box und führen Sie die Spur jeden Tag ein kleines Stückchen weiter. Irgendwann führt die Spur dann auch in den Garten oder vor die Tür. Auf dem Verhalten des Hundes können Sie aufbauen und ihn jeden Tag ein bisschen weiter führen.
Oft macht es dann plötzlich „Klick“ im Gehirn des Hundes. Er merkt, dass alles nicht so schlimm ist wie gedacht – und geht von dem Moment an entspannt spazieren und die Angst ist vergessen. Es wirkt dann so, als hätte man einen Schalter umgelegt.
Wie können Hundehalter ihren Hund beruhigen?
Es gibt eine Reihe bewährter Mittel, die dabei helfen können, den Hund wieder sicherer und entspannter werden zu lassen. Nach und nach traut er sich dann wieder mehr zu.
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Wenn der Hund Angst hat, Gassi zu gehen, kann eventuell ein Thundershirt helfen
Ein Thundershirt – oder übersetzt „Donnerhemd“ – ist ein sehr eng anliegender Body für Hunde. Er soll helfen, dem Hund die Angst z. B. vor Donnergeräuschen bei Gewitter zu nehmen. Der leichte Druck des Thundershirts hat nämlich bei vielen Hunden eine beruhigende Wirkung. Sie können es aber auch in anderen Situationen einsetzen, die Ihren Hund in Angst versetzen.
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Pheromone wirken auf viele Hunde beruhigend
Zittert Ihr Hund so stark, dass er nicht einmal das Leberwurstbrot frisst, das Sie ihm anbieten? Dann ist seine Angst besonders ausgeprägt. Bevor Sie mit dem Training beginnen können, müssen sich zunächst die Blockaden lösen. Dafür gibt es beim Tierarzt entsprechende Medikamente wie Beruhigungsmittel. Sie können aber auch erst einmal einen Pheromonstecker für die Steckdose oder ein Pheromonhalsband ausprobieren. Beide setzen Pheromone frei, die auf manche Hunde beruhigend wirken. Ich rate immer dazu, zunächst den Pheromonstecker auszuprobieren. Reagiert der Hund mit Ablehnung, kann er sich dann außerhalb der Reichweite des Steckers begeben. Dem Halsband hingegen kann er nicht entkommen.
Was sind Pheromone und wie wirken sie?
Pheromone sind Botenstoffe, die Menschen und Tiere unbewusst wahrnehmen. Sie dienen der Informationsübertragung zwischen Individuen innerhalb einer Art. Pheromone beeinflussen das Verhalten und wirken beruhigend.
Bestimmte Pheromone werden von Hundemüttern während des Säugens und auch von den Ohren erwachsener Hunde abgegeben. Sie können – nur – von anderen Hunden wahrgenommen werden. Diese Pheromone führen dazu, dass andere Hunde sich wohler fühlen und sich entspannen.
Im Fachhandel oder im Internet können Sie entsprechende beruhigende Pheromonpräparate als Stecker für die Steckdose oder als Halsband kaufen. Beide geben die Pheromone nach und nach an die Umgebungsluft ab. Viele Hunde reagieren darauf und werden ruhiger.
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Medikamente können Stoffwechselprozesse im Gehirn des Hundes verändern
Wenn Sie alles ausprobiert haben, die Angst aber immer noch da ist, dann hilft unter Umständen eine Medikation vom Tierarzt. Er kann beispielsweise Antidepressiva verschreiben, die die Stoffwechselprozesse im Gehirn des Hundes verändern. Ist der Hund selbst nicht mehr in der Lage, das Haus zu verlassen, nützen Medikamente eventuell: Sie bauen Brücken im Gehirn für einen korrekten Stoffwechsel. Ist beispielsweise die Serotonin-Zufuhr im Gehirn gestoppt, sollte man eingreifen, denn anders ist dem Hund dann nicht zu helfen. Es gibt aber auch andere Mittel, die etwa Milchproteine enthalten oder andere beruhigende Mittel, die helfen können. Lassen Sie sich dazu von Ihrem Tierarzt beraten.