Melatonin für Hunde– sinnvoll oder unnötig?
Was kann Melatonin und was müssen Hundehalter bedenken, wenn sie es einsetzen?
Ihr Hund ist nervös und ängstlich oder er hat einen unruhigen Schlaf? Melatonin-Produkte werden zur Behandlung von Unruhe und Schlafstörungen bei Menschen beworben und eingesetzt. Sie sind frei verkäuflich in Drogerien und Apotheken erhältlich. Was liegt näher, als Melatonin auch beim Hund auszuprobieren? Was davon zu halten ist, erklärt Tierarzt Dr. Andreas Seide in diesem Artikel.
Unser Interviewpartner
Tierarzt Dr. Andreas Seide arbeitet seit 1998 in Bremen mit seinem Team für das Wohl seiner Patienten.
Was ist Melatonin und welche Wirkung hat es im Körper?
Melatonin ist ein Hormon. Es wirkt schlaffördernd und steuert unter anderem den Tag-Nacht-Rhythmus unseres Körpers. Melatonin wird dabei vom Körper selbst hergestellt. Ein paar Details für biochemisch Interessierte: Melatonin ist ein Produkt des sogenannten Tryptophan-Stoffwechsels und wird in einem Teil unseres Gehirns, dem Epithalamus, produziert. Der Ausgangsstoff für die Melatoninbildung ist Serotonin – ein Botenstoff im Nervensystem, der oft auch als Glückshormon bezeichnet wird.
Wichtig zu wissen: Die Produktion von Melatonin findet fast ausschließlich nachts statt. Tageslicht hemmt dagegen die Produktion. Bei Menschen sinkt die Produktion von Melatonin im Alter.
Kann es auch bei Hunden zu einem Mangel an Melatonin kommen?
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Es ist aber vorstellbar, dass auch Hunde im Alter weniger Melatonin produzieren. Ansonsten ist es bei einem gesunden Hund eher unwahrscheinlich, dass ein Mangel auftritt. Denn:
Melatonin wird aus Serotonin gebildet, das im Körper gut verfügbar ist. Es ist damit nicht von der Nahrungsaufnahme abhängig.
Das bedeutet: Es entsteht in der Regel nicht das Problem, dass die für Melatonin wichtigen Ausgangsstoffe fehlen – jedenfalls nicht bei einem jungen, gesunden Tier. Tierärzte bestimmen daher auch nicht routinemäßig den Melatoninspiegel.
Melatonin wird manchmal auch bei Hunden zur Therapie eingesetzt. Ist das sinnvoll?
Tatsächlich wird Melatonin in der Tiermedizin mitunter therapeutisch eingesetzt. Beispiele dafür sind etwa verschiedene Hauterkrankungen wie
- saisonale Flankenhaarlosigkeit, die bestimmte Rassen wie zum Beispiel Airedale-Terrier häufiger entwickeln, oder auch
- Alopecia X, eine Krankheit bei Hunden, bei der Hals und Rumpf einen schrittweisen Haarausfall (Alopezie) zeigen.
Mein persönlicher Eindruck ist aber, dass dies nur einen mäßigen Erfolg hat. Daher hat es sich in der Therapie nicht wirklich durchgesetzt.
In Deutschland gibt es in der Tiermedizin außerdem kein zugelassenes Melatoninprodukt.
In den USA dagegen wird Melatonin beispielsweise eingesetzt, um etwa den Sexualzyklus von Tieren zu unterdrücken. Allerdings hat dies einen sehr unsicheren Erfolg. Deshalb gibt es in Europa keine Zulassung dafür. Richtig ist aber: Melatonin kann den Hormonzyklus bei Tieren verändern.
Trotzdem wird es auch bei uns in Deutschland manchmal bei Hunden eingesetzt. Meistens geht es dann um eine Verhaltenstherapie, gerade bei älteren Tieren mit Demenzerscheinungen. Bei Demenz gehört eine Umkehr vom Tag-Wach-Rhythmus zur Symptomatik. Viele demente Hunde schlafen folglich eher tagsüber und sind nachts wacher und aktiver. Ein Versuch mit Melatonin lohnt sich daher bei alten Hunden, wenn diese unter nächtlicher Unruhe leiden. Auch bei Angststörungen von Hunden, etwa mit Geräuschphobien, ist eine Therapie mit Melatonin einen Versuch wert. Aber:
Melatonin ist sicher kein Allheilmittel bei einem gestörten Schlaf. Oft liegen dem andere Krankheiten zugrunde.
Es ist also nicht unbedingt eine Schlafstörung, wenn der Hund nachts unruhig ist?
Nein, da muss man wirklich genauer hinschauen. Manche Hunde werden nachts einfach deswegen wach und unruhig, weil sie unter Durchfallerkrankungen oder Harnwegserkrankungen leiden. Diese Hunde müssen dann einfach nach draußen und sich lösen.
Nur weil der Hund nachts unruhig wird, muss dies keine Schlafstörung sein.
Hunde haben einen anderen Aktivitätsrhythmus als wir Menschen. Die Tiere ruhen ja zwischendurch auch immer mal und auch in der Nacht, wenn der Halter schläft. Die meisten Hunde passen sich an den Tagesablauf ihrer Menschen an. Sie ruhen, stehen mal kurz auf und legen sich mal andersrum hin. Aber das ist noch kein Zeichen von Unruhe – wir Menschen drehen uns ja auch im Schlaf.
Daneben führen aber manche Krankheiten zu Schlaflosigkeit.
Dass Hunde nachts wirklich unruhig werden, sehen wir hauptsächlich bei Herzerkrankungen.
Die nächtliche Unruhe hängt bei Herzkrankheiten mit Stauungserscheinungen zusammen: Ist die Herzleistung nicht ausreichend, so staut sich das Blut im Brustkorb und es entsteht ein Druckgefühl. Sobald die Hunde dann aufstehen und laufen, steigt die Herzfrequenz wieder und der Druck lässt nach. Das passiert dann natürlich auch nachts.
Melatoninpräparate für Menschen sollen für eine bessere Schlafqualität sorgen
Hersteller von Melatonin-Produkten wie etwa Einschlafsprays versprechen ein schnelleres Einschlafen und besseres Durchschlafen. Die Sprays sollen kurz vor dem Einschlafen direkt in den Mund gesprüht werden. Sie werden vom Körper schnell aufgenommen und sollen so die Einschlafzeit verkürzen. Oft enthalten Melatoninsprays zusätzliche schlaffördernde Mittel wie etwa Extrakte aus Passionsblumen, Baldrian oder beruhigende Melisse. Manche Anwender schwören auf diese Sprays, andere können keine Wirkung erkennen.
Schwangere sowie stillende Mütter sollten keine Melatoninprodukte verwenden, da Melatonin auf das – ungeborene – Kind übergehen kann und die Folgen noch nicht ausreichend untersucht wurden. Auch Personen mit einem Leberschaden sollten keine Melatoninprodukte verwenden, da Melatonin von der Leber abgebaut wird.
Sollten Hundehalter vor dem Einsatz von Melatonin also zuerst prüfen, ob der Schlafstörung eine Krankheit zugrunde liegt?
Ja, das ist ganz wichtig! Sie sollten immer mit dem Tierarzt sprechen, bevor sie Melatonin zur Therapie einsetzen. Denn:
Es kann viele Ursachen haben, wenn ein Hund nachts unruhig ist.
Wirkt Melatonin bei Hunden genauso wie bei Menschen?
Es gibt so gut wie keine aussagekräftigen Studien zur Wirkung von Melatonin bei Tieren. Das heißt, alles, was berichtet wird, ist wirklich rein empirisch. Wir haben zu wenige Studien darüber. Im Einzelfall kann eine Behandlung den gewünschten Effekt haben. Aber die Zahlen sind viel zu klein, als dass ein Präparat nach europäischen Vorgaben daraufhin eine Zulassung bekommt.
Hat Melatonin Nebenwirkungen?
Ja, mögliche Nebenwirkungen sollte man auf jeden Fall bedenken. Selbst wenn Hundehalter Melatonin nur in der Verhaltenstherapie einsetzen möchten, also etwa bei einer Geräuschphobie oder zur Beruhigung bei Trennungsangst, wenn das Tier nicht allein bleiben will, muss man vorsichtig sein.
- Wie eben gesagt: Melatonin kann in den Hormonhaushalt eingreifen, wie man aus der Läufigkeitsverhinderung aus den USA weiß.
- Besondere Vorsicht ist außerdem bei leber- oder nierenkranken Tieren geboten.
Die Dosierung kann man außerdem nicht eins zu eins vom Menschen aufs Tier übertragen. Bei Hunden werden Medikamente (abgesehen von Impfstoffen) immer pro Kilogramm Körpergewicht dosiert. Kleine Hunde erhalten also niedrigere Dosen als große. Bei den kleinen Rassen kommen wir schneller in den toxischen Bereich. Das muss man auch bei Melatonin bedenken.
Was ist Ihr Fazit, wenn Hundehalter Melatonin einsetzen möchten?
Hundehalter sollten sich mit dem Tierarzt in Verbindung setzen, um bei nächtlicher Unruhe Krankheiten abzuklären und über die Dosierung von Melatonin zu sprechen. Der Tierarzt findet für die jeweilige Indikation die richtige Dosierung. Nur dann hat die Therapie auch eine Aussicht auf Erfolg.
Außerdem sollten Halter und Tierarzt sich unbedingt mit den Inhaltsstoffen des Präparats auseinandersetzen. Präparate, die eigentlich für Menschen gedacht sind, enthalten manchmal auch Xylitol. Diese Produkte sind für Hunde tabu: Xylitol ist für sie nämlich giftig.